und nennen es
von Simone Schabert
(eins)
familie und stellen kartoffeln auf tische also dunkelgelbe
körper in feuerfester keramik blaugeblümt aus früheren zeiten
dampfen und dämpfen sie licht zwischen uns treiben einzelne
laute aus unseren mündern hellgrüne wortsprossen über teller
und schüsseln bis stärke die finger verklebt ein brei warm aus
händen über einzelne köpfe streicht
(zwei)
und erzählen familie ordnen fragen auf tischen drapieren die
teller und schneiden gleichmäßig die stücke oder denken wir
das nur essen langsam kauend kreuzen wir blicke ins leere und
warten auf antworten in hohlräumen und warmen bäuchen
unter tischdecken ein gleichmäßiges pochen irgendein
mutterpuls
(drei)
und schweigen familie recken schwangere bäuche über die
tische hauthügel mit adern blaugerissen die geschwollenen
füße stecken in sandalen ausgetreten von geschichten und
schlechten träumen unserer großmütter die aber kennen wir
nicht nur ihre stimmen sitzend und tanzend auf
dünnfedernden gabeln in unseren ohren ein schmales band an
lauten glockenähnlich bleiben die tage
(vier)
und heißen familie die kleinen gewächse aus tradition und
regelwerk ein kommen und gehen in dörflicher struktur die
altbackene helix haftet auf tischen überwuchert bäuche und
klettert auf stimmbänder sodass wir toxisches von uns geben
ohne zu wissen vom immerwährenden weil jeder einzelne
teller doch so neu im küchenbüffet glänzt
(fünf)
und buchstabieren familie aus nudeln in suppen dieses
überschaubare alphabet aus gutturalen lauten das wir von
kleinauf aufsagen aber nicht schlucken eine handvoll
buchstaben die uns den gaumen verklebt die lippen verbrennt
(sechs)
und wischen uns familie vom mund reiben mit stoffärmeln über
haut und lippenreste einer beim anderen bis unsere gesichter
glänzen im mittagshoch rotbacken das fleisch auf tellern und
sonne hinter bierglasfenstern die zeit murmelt in uns macht
uns zu kindern die stille post spielen nur ein wort auf die reise
schicken aber wir hören nicht auf
(sieben)
und flüstern weiter familie in ohren einwortspiralen ohne ende
immerwährend wie efeu an hauswänden ranken
verhaltensmuster über den tag verbieten aufstehen oder
stühlerücken im araliengeflecht das wir nur in kleinen dosen
ertragen und immer nur an diesem einen tisch
stoßen wir an.
Simone Scharbert ist 1974 in Bayern geboren, Studium der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft, Philosophie und Politikwissenschaft in Augburg, München und Wien; Promotion über die Osterweiterung der EU und Visegrád. Anfang 2014 zum »Irseer Pegasus« eingeladen; lebt und arbeitet als freie Redakteurin und Dozentin für Politische Bildung in der Nähe von Köln. Veröffentlichungen u.a. in entwürfe, Konzepte, Mosaik, Sachen mit Woertern und Triedere.
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