KALT IST MIR NICHT
ein Auszug
von Svenja Viola Bungarten
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In jeder Stadt gibt es ein Haus, in dem sich mehr Tote als Lebendige befinden. Nicht in jeder Stadt, sieht so ein Haus auch von außen so aus, als würden sich in ihm mehr Tote als Lebendige befinden. In diesem Fall sieht dieses Haus, vor dem wir jetzt stehen, allerdings genau so aus, als würden sich in ihm mehr Tote als Lebendige befinden. Aufgrund dieser Umstände macht man darin, wie im Winter, Wolken beim Atmen. Ute K. in einer Kühlhalle, die Atemwolken zwischen ihren Sätzen hervorpustet, an den Füßen des toten Willie.
Ute K.
Also gut Willie. Du kennst doch den Rottmeierschulze, der mit dem ambitionierten Toupet und den Hosenträgern über der Wampe.
Na der Autoverkäufer, Autoverkäufer war der.
So einer von diesen Autoverkäufern, die alles verkaufen können, außer ihre Autos. Na der, der immer auf der Treppe stehen bleibt um in ein Gespräch zu kommen.
Ute K. senkt ihren Blick auf den toten Mann herab, als warte sie auf eine Reaktion. Als ein Windhauch ihres Atems, seine Armhaare ein bisschen schräg nach links bewegt, geht ein Ruck durch Ute K. s Herz
Ute K.
Der Rottmeierschulze also so
Frau K. haben Sie auch solche Hüftschmerzen?
Ich: Nein.
Er: Brauchen Sie vielleicht einen Alpha Romeo?
Ich: Nein.
Ute Ks Augen bleiben an Willies gefalteter Stirn kleben. Sie erzählt, dass der Rottmeierschulze eines Tages auf der Treppe stand und ganz blass war um die Nase drumrum. So wie der Willie jetzt. Er stand einfach nur da und starrte auf die schwere Haustür, durch die Ute K. gekommen war und die gerade ins Schloss zu fallen drohte.
Da fragte Ute K.
Kennen Sie das, wenn Sie Angst haben, dass jemand mit seinen Augen für immer auf etwas Unbestimmten kleben bleibt? Etwas, das sich in weiter Ferne befindet und für Sie immer unerkennbar bleiben wird?
Es stellte sich heraus, dass Rottmeierschulze dieses Gefühl kannte. Und dass sein Gebrauchtwagenladen geschlossen worden war. Rottmeierschulze löste seinen Blick von der Tür und fragte Ute K. Kennen Sie diese Gänsehaut, die sich anfühlt, als säßen Sie gerade nackt in einem zugigen Treppenaufgang, obwohl Sie voll bekleidet sind?
Das Gefühl kannte Ute K. sehr gut. Und Rottmeierschulze fuhr fort:
Ich habe so schlecht Autos verkauft. Es ist ein Jammer. Ich glaube ich muss das tun, was ich schon immer tun wollte. Auch wenn ich über sechzig bin. Ich glaube ich muss Künstler werden.
Und Ute K. so
Was meinen Sie mit Kunst?
Und Rottmeierschulze
Ich meine mit Kunst, genau diese Gänsehaut, die aus dem Gefühl heraus entsteht, dass man nackt sei. Obwohl man voll bekleidet ist.
Ute K
Ich meine Malerei, oder Bildhauerei?
Rottmeierschulze
Akt.
Ute K.
Akt?
Rottmeierschulze
Ich werde Akt-Bilder malen.
Kennen Sie das Gefühl, das Gefühl zu haben, dass das was gerade passiert, so passieren muss?
Ute K.
Sie meinen Schicksal?
Rottmeierschulze
Ich meine Gott.
Wie es dazu kam, dass Ute K. ihre Freundin Beate als Geleitschutz engagierte und sie später beide nackt, auf einer abmontierten Motorhaube, im Wohnzimmer von Rottmeierschulze lagen, wie zwei ineinander gestrandete Robben, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
Ute K.
Der meinte Gott. Und dann wollte der eben ein Marienbild malen. Einen Marienakt. Und für dieses religiöse Unterfangen hat er gesagt, brauche er eben ein Modell. Und dann hat der mich mit seinen kleinen Augen angeblickt, als sei ich das, was in der unbestimmten Ferne gelegen hatte, in die er eben noch so starrte. Naja und ich meine Willie du kennst mich ja. Wenn jemand Hilfe braucht, das ist ja eine Sucht von mir dann. Da hab ich die Beate angerufen, und die als meinen Geleitschutz engagiert. Und die Beate kam rauf zu uns, hat geklingelt und du saßt im Sessel, du saßt einfach nur da. Also sind Beate und ich drei Stockwerke höher gestiegen, zum armen Rottmeierschulze. Und da stand der, ohne sein ambitioniertes Toupee, ganz entblößt, am Kopf in seinem Wohnzimmer. Und in seinem Wohnzimmer stand noch: eine abmontierte Motorhaube. Groß, silbern, glänzend. Da sagt der ich soll mal dran lecken.
Ich leck an der Motorhaube. Ist ja nichts dabei. Dann sagt der, Maria würde das anders machen. Also versuche ich keusch an der Motorhaube zu lecken. Als Aufwärmübung meint der.
Gut, sagt Beate. Jetzt reichts. Wir gehen, sagt Beate. Da geht der Rottmeierschulze zur Beate und fasst sie an den kräftigen Schultern, sieht ihr tief in die Augenfalten rein und sagt: Beate du siehst aus wie die Mutter Gottes. Ich mach dich berühmt.
Da zuckts halt in Beates Ohren, das kann ich von der Motorhaube aus sehen. Berühmt, fragt es aus Beate heraus. Berühmt, brummt Rottmeierschulze. Und Beate betont nochmal, dass wir ja nicht dumm seien und dass wir uns nicht ausnutzen lassen wollen würden, von einem der nicht mal Autos verkaufen kann. Und dann legt Rottmeierschulze Lou Reed auf. Und vielleicht ist das richtig schlecht denk ich mir. Aber es wirkt wie Aspirin auf Eis mit Wodka bei Migräne, alle Bewegungen werden fließend, alles macht Sinn. Und Beate und ich sehn uns an. Und ich kann fühlen wie uns beiden dieselbe Idee den Kopf zerschießt: Wir sind alt, nackt und frei. Und wir werden berühmt.
Liegen Ute K. und Beate also auf einer Motorhaube in Rottmeierschulzes Wohnzimmer, wie zwei ineinander gestrandete Robben. Und dann fragt sich Ute K., wo eigentlich ihr Körper aufhört und Beates Körper anfängt, weil durch den maximalen Hautkontakt, kann sie das nicht mehr sagen jetzt. Sie kann nur sagen wo die kalte Motorhaube- aber das zwischen ihren Körpern, das fühlt sich eher wie eine Schnittstelle an und weniger wie eine Grenze. Was eigentlich der Unterschied zwischen einer Grenze und einer Schwelle sei, fragt sich Beate. Und Beate fragt sich noch, ob das ihre Zehen oder Ute K`s sind, die sie mit aufgestütztem Kopf, aus dem Augenwinkel sehen kann.
Und eingefroren in dieser Position denkt sich Rottmeierschulze; was für ne Scheiße.
Und Ute K. spürt einen Schweißtropfen von Beates Bauchfalte, auf ihren Unterarm tropfen. Und sie denkt sich, wie verrückt, dass Beate so warm ist, die zerfließt ja hier unter mir. Dass ihr schon lang keiner mehr zerflossen ist, denkt sie noch. Und Beate spürt Ute K.s Herz schlagen, durch ihren hinteren Brustkorb an ihrem Oberschenkel, und sie denkt sich wie verrückt, dass man ein Herz auch am Oberschenkel, durch einen fremden Rücken hindurch schlagen spüren kann. Und als Rottmeierschulze nach drei Stunden seine Leinwand umdreht, ist darauf nichts als die Motorhaube zu sehen. Und zwei Farbklekse die ineinander verlaufen. Ute K. ist der Gelbe und Beate der Rote. So werden wir aber nicht berühmt, sagt Beate. Und Ute K. wischt sich den Restschweiß aus der Achselhöhle. Er sagt, das sei der Abstraktionsprozess eben, und es sei schließlich nur der erste Versuch. Als Beate und Ute K angezogen und benommen die Treppe heruntersteigen, haben sie beide Gänsehaut, als würden sie unbekleidet in einem zugigen Treppenhaus stehen, dabei tragen sie beide ihre dicksten Mäntel. Beate ist ganz rot im Gesicht. Aber warm ist ihr nicht.
Beate: Warm ist mir nicht.
Als sie vor Ute K. s Tür stehen sieht Beate Ute K. nicht an, als sie sich in den Türrahmen lehnt.
Beate
Ute K. du bist schön.
Und Ute K. antwortet
Danke.
Und Beate sagt
Ich meine richtig.
Und Ute K. sagt
Wie richtig?
Und Beate
Ich meine in Echt.
Und Ute K.
Wie in Echt?
Und Beate
Echt jetzt.
Und Ute K.
–
Und Ute K.
–
Und Beate
Du musst da raus.
Und Ute K.
Wo raus?
Beate
Aus dir Ute K.
Aus dir. –
Ute K. bläst in schnellerem Rhythmus als zuvor Atemwolken in die kalte Luft des Kühlhauses. Willies Armhaare dazu im Takt, Ute K. sieht zu. Sie holt eine Zigarette aus ihrem funkelnagelneuen, goldenen Zigarettenetui.
Ute K.
Weißt du. Beate kocht mir Goulasch, weil sie weiß, dass ich das so gerne mag. Was sie nicht weiß ist, dass ich das so gerne mag, weil dein Goulasch für mich der Inbegriff von Liebe war. Auch wenn du es, aus den tiefgekühlten Tuppadosen deiner Schwester wieder aufgewärmt hast, hab ich mir eingeredet, dass du das selbst gekocht hast, für mich. Dein Goulasch war das Beste Goulasch, das ich je gegessen habe, Willie. Der kann mich ernähren hab ich mir gedacht. Beate hat irgendwann mal bei einem Telefonat gesagt: Von dem kannst du dich ernähren.
Svenja Viola Bungarten wurde am 28.03.1992 geboren, sie lebt und arbeitet in Berlin. Sie studiert seit 2014 Szenisches Schreiben an der UdK Berlin. Veröffentlichung in der BELLA triste #42. Sie gewann mit ihrem Libretto POST NUCLEAR LOVE den Berliner Opernpreis 2016. Sie ist für den Retzhofer-Drama-Preis 2017 nominiert.
Sie hat darüber hinaus auch eine Biografie. Die ist aber ja auch nur eine Geschichte. Die kann man sich an dieser Stelle einfach ausdenken. Foto: Martina Thalhofer
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